In der Musik eine Heimat zu finden, ist nicht erst in Zeiten der Globalisierung ein Thema geworden. Der Sizilianer Pippo Pollina kennt dieses Bedürfnis. Als Wahlschweizer, der jedoch immer wieder an seine Ursprünge zurückkehrt, ist er stetig auf der Suche nach Zugehörigkeit. In seiner Muttersprache heißt sie L’appartenenza. Ein atemberaubendes, wortgewaltiges Werk, mit dem er in tausend Facetten seine Sehnsüchte, Erinnerungen und Erfahrungen reflektiert.
Man muss den frischgebackenen Preisträger der Freiburger Leiter und des Schweizer KleinKunstPreises hierzulande nicht mehr vorstellen. Ohne Zweifel zählt Pippo Pollina seit den frühen Neunzigern zu den ganz großen italienischen Poeten im Exil. Ausdrucksvoll und kratzbürstig, kraftgeladen, engagiert und lyrisch, so hört man seine Stimme, seine Lieder und Texte auf über einem Dutzend Alben. Kollegen wie der Schweizer Liedermacher Linard Bardill, die Band Patent Ochsner, Georges Moustaki oder Konstantin Wecker ließen sich gerne auf Teamworks mit dem Wahlzürcher ein.
In den letzten Jahren engagierte sich Pollina auf unterschiedlichsten musikalischen Terrains, schrieb eine Theateroper, arbeitete mit einem Jugendorchester, spann seine Dichtkunst mit dem bayrischen Duo Schmidbauer/Kälberer zusammen. Nach acht langen Jahren wieder ein Album aufzunehmen mit ganz neuen Liedern, das war wirklich Zeit für mich, sagt der 50-jährige. So unterschiedlich die dreizehn Songs sein mögen, gebündelt werden sie alle unter dem Thema Zugehörigkeit: Mit den Jahren habe ich gemerkt, dass meine Lieder ein Mittel, ein Instrument sind, um mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen, so Pollina. Sie sind keine Ortschaft, kein Platz, wo die Zugehörigkeit stattfinden kann, aber diese wird mit den Liedern gesucht und gefunden.
Unter diesem Lichte betrachtet scheint es ganz natürlich, dass Pollina auf Seelenverwandte zurückgreift, um seine appartenenza zu erlangen: Da ist seine sizilianische Schwester Etta Scollo, mit der ihn eine Jahrzehnte dauernde Freundschaft verbindet: Ein wehmütiges, unter die Haut gehendes Liebesbekenntnis an ihre verlorene und doch immer wieder besuchte Heimat stimmen die beiden an (Ti Vogghiu Beni). Da ist der charismatische und bärbeißige Giorgio Conte, mit dem er das ergreifende Mare, Mare, Mare singt, eine Hymne auf das Meer als Sehnsuchtsort in einer durchgedrehten Welt. Und schließlich auch der neue Compagnon Werner Schmidbauer, der den italienischen Zeilen von Risveglio, diesem Tribut an eine nie zu durchschauende, nie endende Reise einen bayrischen Hauch zufügt. Und niemand anderes als dessen Kollege Martin Kälberer fungiert auf dem Album als feinfühliger Pultmeister.
L’appartenenza birgt viele musikalische und textliche Schätze, deren Kostbarkeit sich beim aufmerksamen Hören erschließt: Im überschwänglichen Pop von Cantautori beschwört Pollina die Phalanx, die er mit seinen berühmten Kollegen bildet, all jenen, die den Krieg mit Reimen und Metaphern fechten. Mit Laddove Crescevano I Melograni kehrt er mit glühender Melancholie zu seiner feurigen Jugend auf Sizilien zurück, die ihn aber auch ins Exil zwang, da die Mafia die Fantasie zu ermorden drohte. Und mit einer zärtlich fließenden Folknummer nähert er sich auch seinem heutigen Zuhause, einem subtilen Porträt der Helvetia.
Pippo Pollina spielt in diesen dreizehn neuen Liedern auf einer großen Klaviatur von Gesten. Er beherrscht die Kunst, eine hitverdächtige Nummer mit packendem Bandgefüge zu schreiben, tänzelt durch luftige Folk-Arrangements, legt aber auch sein ganzes Herz und seine ganze Reife in unter die Haut gehende Balladen mit Cello, Bandoneón und Piano. Wenige vermögen es, ein Lächeln oder einen Frühlingsregen so metaphernreich zu beschreiben, Vergangenes so sinnlich heraufzubeschwören. Keine Revolution, sondern ein langsames Wachsen, so beschreibt er selbst seine Arbeit. Eine Musik, die dem, der sich in sie versenkt, auch selbst Zugehörigkeit schenkt. |